Menschen leben nicht in Gesellschaft, sondern mit ihr; und die Tatsache der Gesellschaft ist insofern eine "ärgerliche Tatsache" (R. Dahrendorf) als die Tatsächlichkeit darin besteht, dass man Gesellschaft nicht objektivieren kann. Man kann weder zu ihr hin, noch von ihr weg gehen. Die Tatsache der Gesellschaft lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Da Gesellschaft jeder Objektivität entbehrt, kann man mit ihr nichts machen. Man kann sie nicht untersuchen wie man etwa einen Pfannekuchen untersuchen könnte. Und überprüfen kann man sie auch nicht. Die Gesellschaft kann man nicht anrufen und ihr die Meinung geigen. Sie hat keine Telefonnummer; sie entzieht sich jeder methodischen Behandelbarkeit, darunter fallen auch alle nur möglichen Weltverbesserungsversuche. Das geht alles nicht.
Das alles ist so dermaßen ärgerlich, dass die meisten professionellen Soziologen ein solches Nachdenken ablehnen und das Gegenteil behaupten, weil sie sonst nicht wüssten, was an ihren "Forschungen über Gesellschaft" noch wissenschaftlich wäre.
Man sieht: auch Soziologen sind von einem Sozialisationstrauma geprägt, das sie nicht so leicht abschütteln können.
Das Trauma der Sozialisation. Das ist ein gewiss kompliziertes Thema, über das man so lange reden kann wie die Erde sich um die Sonne dreht. In Hinsicht auf den Focus, um den es hier geht, soll der Punkt genügen, dass der soziale Prozess der 'Personenerschaffung' - man sagt auch: gesellschaftliche Konstruktion der Person - verbunden ist mit einer Vielzahl von psychosozialen Praktiken der Realitätsvergewisserung, die allesamt in den Ruinen einer alten Welt entstanden sind, die von Religion, Herrschaft, Gebieten und Gehorchen geprägt war.
Der Abwurf dieser alten Verhältnisse wird unter den Begriff der Emanzipation gefasst und bis heute gibt es manchen gelangweilten Professor, der sich einbilden darf, die Problemlage des 18. Jahrhunderts sei nach wie vor der aktuelle Stand der Dinge.